Die Facebookseite Küstenwuff verfolge ich schon eine Weile. Der kleine blonde Hund Emmi erfreut mich fast täglich mit ein paar witzigen Zeilen und Fotos aus ihrem Leben. Natürlich in norddeutscher Manier mit „Kinners“, „Muddern“, „Schietwetter“ und Co, wie es sich für einen Küstenhund gehört. Um so überraschter war ich, als mir die eigentliche Urheberin der lustigen Texte, Dine, schrieb, sie möchte sich gerne an meinem Projekt Tierische Helfer beteiligen. Ihr „Outing“ hat mich zu tiefst berührt!

Meine Hündin ist keine Behindertenbegleit- oder Rettungshündin im eigentlichen Sinne, dennoch hat sie mich gerettet und sie hilft mir jeden Tag auf’s Neue, mich vor mir selbst und vor der Welt zu retten.
Dieser Text wird eine Art „Outing“ für mich, da viele Leute gar nichts von meinen Problemen und Defiziten wissen. Lange habe ich darüber nachgedacht, ob und inwiefern ich mich offenbaren sollte. Einerseits möchte man es nicht jedem Hans und Franz auf die Nase binden und sicherlich nicht auf Krankheiten reduziert werden. Andererseits möchte man auch, dass sich, bezüglich psychischer Krankheiten, etwas am gesellschaftlichen Umgang ändert und ein wenig mehr Aufklärungsarbeit geleistet wird. Wenn jeder Betroffene den Mund hält, weil er persönliche oder gemeine Kritik und Abwertungen fürchtet, kann sich nie etwas ändern. Es muss Menschen geben, die persönliche Einblicke gewähren und sich offenbaren. Nur so kann sich der gesellschaftliche Umgang mit psychischen Defiziten und Krankheiten ändern…
Dem Übel ein Ende setzen
Ich war immer anders, denn meine Sicht war anders. Mit zwei Jahren konnte ich fließend sprechen und habe ununterbrochen geredet. Ich habe einfach ALLES wissen wollen und die ganze Welt hinterfragt. Jede noch so kleine Gefühlsregung meines Gegenübers habe ich wahrgenommen. Ich war aufgeweckt und nie war Ruhe in meinem Kopf. Diese Verhaltensweisen passten nicht in mein familiäres Umfeld und gefühlte tausendmal am Tag sagte man mir: „Ich soll nicht SO sein. Ich soll anders sein. Ich soll anders denken, fühlen und mich verhalten. Ich soll so sein, wie die anderen. Ich soll besser zuhören, aufpassen und mitmachen. Ich soll nur das machen, was gerade auf dem Plan steht und nicht immer irgendwas anderes. Ich soll nicht immer um tausend Ecken weiter denken. Ich soll mich nicht so schnell begeistern lassen. Ich soll nicht so kreativ sein, das passt jetzt nicht. Ich soll nicht so spontan sein, das ist unangebracht. Ich soll nicht so emotional sein, das ist anstrengend. Ich soll nicht so viel reden, das ist ermüdend. Ich soll nicht so viel hinterfragen, das ist nervenaufreibend.“
In meiner Kindheit lag einiges im Argen und durch persönliche Erlebnisse, gesellten sich, zu der anderen Wahrnehmung und den mittlerweile verankerten Selbstzweifeln, Traumata dazu. Irgendwann kam ich in die Pubertät und der Hausarzt machte meine Mutter darauf aufmerksam, dass ich womöglich eine behandlungsbedürftige „depressive Störung“ hätte. Mit 14 wurde ich erstmals in einer psychosomatischen Klinik behandelt und bekam die ersten Psychopharmaka. In meiner weiteren Jugend nahm ich mal Psychopharmaka und mal nicht, denn es fühlte sich einfach nicht richtig an. Zwei Jahre später habe ich versucht, allem ein Ende zu setzen und sämtliche Antidepressiva, Beruhigungsmittel und Schmerzmittel genommen, die ich finden konnte. Als ich wieder aufgewacht bin, war da nichts als Schmerz… und so sollte es noch eine ganze Weile sein.
Ein hündischer Rettungsring
Danach wurde ich, aus Unachtsamkeit, erstmals von einem Auto angefahren. (Ja, solche Unfälle gab es mehrere.) Zu den seelischen Schmerzen gesellten sich körperliche dazu. Als ich volljährig war, bin ich, von heute auf morgen, aus meinem Elternhaus ausgezogen. Ich ging nach Hamburg und kurz darauf sollte sich mein Leben schlagartig ändern, denn ich lernte meine Hündin kennen. Emma (meist Emmi genannt) war ungefähr 10 Wochen alt, als sie zu mir kam. Sie begleitet mich seitdem auf Schritt und Tritt und steht mir immer zur Seite. Viele Menschen sagten damals, es sei nicht richtig, dass ich einen Hund in mein Leben lasse und ich sollte, ihrer Meinung nach, zuerst versuchen, alleine klarzukommen. Oooh, wie falsch sie doch lagen! Emmi hat mir nämlich jeden Tag geholfen klarzukommen und durch sie bin ich zu der Person geworden, die ich heute bin.
Die ersten Jahre, in denen wir gemeinsam erwachsen geworden sind, waren sehr turbulent… ob nun die vielen Jobwechsel, Ausbildungsabbrüche, Wohnungswechsel, Beziehungsbrüche, familiäre Brüche, eine Medikamentenabhängigkeit, die immer wiederkehrenden Depressionen oder andere chronische Leiden – es war immer etwas los. Man könnte meinen, dass in solch kräftezehrenden Zeiten ein Hund im Leben vielleicht nicht gerade optimal ist… für mich war es das allerdings immer. Emmi hat mir die Kraft gegeben, um weiterzumachen. Egal, wie schlecht es mir ging, ein Wedeln von ihr und die Liebe zu ihr überrollte mich förmlich. In Situationen und Lebensphasen, in denen ich weinte, weinte und weinte, leckte sie mir die Tränen von der Wange und brachte mir ihr Lieblingsspielzeug.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ein Hund mehr Empathie und Liebe an den Tag legen kann, als so mancher Mensch. All das, was sie mir gibt, könnte ich ihr nicht mal ansatzweise zurückgeben. Sie ist mein Anker, wenn Wellen und Sturm sich in mir verfangen. Sie hält mich am Boden und zeigt mir, was wirklich wichtig ist und zählt… nämlich das HIER und JETZT. Gleichzeitig ist sie aber auch mein Rettungsring, der mich oben hält.
Vor einem Jahr bekam ich dann endlich die richtige Diagnose und es wurde nicht mehr nur versucht, die Depressionen, die eine Folge des eigentlichen (aber lange Zeit ungeklärten) „Übels“ sind, zu behandeln. Über acht lange Wochen war ich von Emmi getrennt und in einer psychosomatischen Klinik, in der man festgestellt hat, dass ich AD(H)S habe. Das war es also… eine angeborene Stoffwechselstörung im Gehirn. Die Transmitterchemie stimmt nicht. Die immer wiederkehrenden Depressionen haben viele Symptome überlagert und deswegen standen sie jedes Mal, bei den Versuchen sich Hilfe zu suchen, so im Vordergrund. Nun hatte das Kind also endlich einen Namen… ich konnte mich endlich selbst verstehen und akzeptieren lernen und die richtigen Medikamente nehmen. Seit diesem Wissen ist mir viel bewusst geworden.
Ich brauchte Emmi. Ich brauchte nicht nur irgendeinen Hund, sondern genau sie… manchmal, so scheint es, haben wir die gleiche Wahrnehmung auf die Welt. Sie ist mein kleiner Flummi, der einfach alles wahrnimmt. Sie ist zwar glücklich und freut sich, aber bei vielen Reizen eben auch gerne gestresst. Bis sich das Gehirn aus Schutz ganz abschaltet und kaum noch etwas mitbekommt. Und das ist ja eines meiner Probleme.
Emmi hilft, das Wirrwarr ein Stück weit abzuschalten
Die Wahrnehmung mit AD(H)S muss man sich so vorstellen, als muss man am turbulentesten Tag des Jahres, also an Heiligabend, noch schnell in die Stadt rennen und alle Geschenke besorgen. Gleichzeitig denkt man aber auch an den Truthahn, der ja noch rechtzeitig in den Ofen muss… und man denkt an die Geschenke, die ja auch noch eingepackt werden müssen… aber natürlich nicht mit bedrucktem Geschenkpapier, das ist ja doof und schlecht für die Umwelt. Also denkt man folglich daran, auch noch Packpapier kaufen und dementsprechende Deko basteln zu müssen. Das Gedankenkarussell dreht und dreht sich… man möchte kotzen. Währenddessen versucht man, durch die riesige Menschentraube zu gelangen, an alle Geschenke zu denken und sie sich regelrecht zu erkämpfen. So in etwa fühlt es sich an. Jeden Tag. Es ist herausfordernd und anstrengend. Man versucht, ein Teil der Masse zu sein und einen Sprung hineinzuwagen… man bewegt sich mit der Masse und versucht, nicht unterzugehen und dabei auch noch Dinge zu erledigen. Das Gehirn nimmt alles auf einmal wahr und kann von allein nicht filtern, was wichtig und unwichtig ist… und oftmals übermannt es mich dann gerne mal.
Bei diesen und weiteren Problemen hilft Emmi mir so unglaublich viel, denn natürlich liegt mein Fokus auf ihr und auf unserem alltäglichen Training, wenn wir zusammen die Welt erkunden. Gewiss muss ich auch dafür kämpfen, dass meine Aufmerksamkeit bei Emmi bleibt, aber der stetige Augenkontakt und ihr fröhliches Wesen sorgen dafür, dass es gut klappt. Emmi ist mein Spiegel, denn sie zeigt mir oft auf, was gerade los ist und wichtig ist. Sie hat mich einst gerettet und rettet mich jeden Tag aufs Neue. Heute bin ich 31 und Emmi wird nun 12 Jahre alt und ich kann sagen, dass wenn Emmi in meinen dunkelsten Zeiten nicht mein Licht gewesen wäre, ich heute nicht mehr hier wäre. Sie ist mein Seelenhund und ich danke dem Universum dafür, dass wir uns gefunden haben.
Vielen lieben Dank an Dine. Ich freue mich wahnsinnig, über Deinen sehr persönlichen und bewegenden Beitrag! Du verdienst meinen absoluten Respekt dafür, dass Du Dich erstmals in dieser Form offenbart hast!
Mehr über Dine beziehungsweise Emmi erfahrt Ihr bei Facebook.

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